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Kunsttherapie 
von Rachel Gitterle-Deutsch, erschienen im Klinikforum, Mai 2011

Im September 2010 begann ich am Landesklinikum Mostviertel Amstetten-Mauer zu arbeiten. Ich möchte die Gelegenheit nützen, meine Tätigkeit als Kunst- und Gestaltungstherapeutin vorzustellen.

 

Definition 
Kunsttherapie ist eine Therapierichtung, die seelische und psychische Leiden des Menschen  in einem Bewusstwerdungsprozess ans Licht bringen und therapeutisch behandeln kann. Das Gestaltungspotenzial der KlientIinnen wird als Ressource genützt, damit sie sich als handelnde schöpferische Personen erleben. Dazu benötigen sie keine gestalterisch-technische Fertigkeiten. In der Kunsttherapie gehen wir davon aus, dass sich die Seele unmittelbar und spontan in Form eines Bildes ausdrücken kann. Mehr noch, als „unverfälschtem seelischen Besitz“ und „Urform der Gestaltung“, so nennt Hans Prinzhorn(1900) der Arzt und Psychiater die schöpferische Quelle, die künstlerisches Gestalten seiner PatientInnen (In „Irre ist weiblich“, künstlerische Intervention von Frauen in der Psychiatrie um 1990, Sammlung Prinzhorn, S. 12). Die KlientIn, ihr schöpferisches Produkt und die KunsttherapeutIn stehen in einer Triade in Beziehung. In der Interaktion entwickelt sich eine Durchgestaltung auf der Bildebene und ermöglicht eine geistig-seelische Auseinandersetzung mit dem Inhalt. Indem ein innerer Konflikt sichtbar und begreifbar wird, eröffnet sich ein Handlungsspielraum, der neue Perspektiven und Bearbeitungsmöglichkeiten bietet. 

 

Was kann Kunsttherapie?
Innere Spannungen können durch die Mobilisierung schöpferische Kräfte abgebaut werden. Durch Aufdeckung von inneren Konflikten kann ein Bewusstwerdungsprozess angeleitet werden, neue Sichtweisen und Erkenntnisse werden möglich und tragen zu einer Stabilisierung der PatientInnen bei. Der schöpferische Prozess des lustvollen Gestaltens stärkt die Persönlichkeit und ermöglicht die Weiterentfaltung der eigenen Identität.       


Die Ansätze die ich spezifisch in der Kunsttherapie anleite
Im Setting der Kunsttherapie, scheint mir besonderes wichtig zu sein, auf die klare Grenzen zwischen Therapeuten und  Patienten zu achten, damit ein sicherer Ort für die therapeutische Beziehung geschaffen werden kann. Der Begriff „Potentieller Raum“ (Winnicott 1969) prägt meine therapeutische Haltung und inspiriert mich in meiner Arbeit als Kunsttherapeutin. Dieser Gedanke bezieht sich auf den physischen und dem imaginären Raum zugleich. Es ist jener Bereich in dem die innere Realität des Menschen und die äußere Wirklichkeit in Dialog treten und einander berühren.  In diesem Raum stellt sich eine Verbindung zwischen dem Selbst und der Welt. Die Berücksichtigung dieses Bereichs ermöglicht es neue, zwischenmenschliche Erfahrungen zu machen. 

Und wie geschieht das in der Kunsttherapie? Ich ermutige die PatienInnen und fordere sie auf, spontan Bilder zu ihrer momentanen Befindlichkeit und in Bezug auf das Thema, dass sie gerade beschäftigt zu gestalten. In der Regel geschieht das nicht immer ohne inneren Widerstand. Die Anleitung zur spontanen Gestaltung fordert die Person auf, sich mit sich selbst geistig auseinanderzusetzen bzw. das „Eigene“ zu erspüren.  Die Entscheidung des Materials und die Formgebung folgen nach. Das ist der Beginn eines kreativen Prozesses, welcher die eigene vitale Kraft aber auch den eigenen Schatten berührt. Das bedeutet auch, den „Unbekannten“ in der eigenen Person wahrzunehmen.

Bei der Betrachtung des Bildes wird der emotionale Kontakt zu den Bildelementen gesucht. Die Fähigkeit zu „Spielen“(Winnicott 1969) schwingt bei der Entstehung des Werkes mit. Sie kann  verglichen werden mit einer entspannten inneren Haltung, die Denjenigen befähigt, lustvoll die eigene Kreativität als Potential zu entdecken. Der spielerische Umgang mit kreativen Materialien und mit der Gestaltung kann Blockaden und erstarrte Verhaltensmuster ins Fliessen bringen. Mit einem Beispiel aus der klinischen Praxis möchte ich diese erläutern; eine Partnerübung die ich in der Gruppe bei der Entzugstation anleite. Diese Methode, „das therapeutische progressive Spiegelbild“ wurde von Maurizio Peciccia und Gaetano Benedetti entwickelt. Nach einer kurze Anleitung von mir beginnt jeder/e in einer freien Gestaltung ein spontanes Bild zu zeichnet. Nach ca. 20 Minuten werden die Bilder getauscht. Jede/r erhält einen Bogen Transparentpapier. Dieses wird auf der Zeichnung des Partners aufmontiert. Auf diesem transparenten Papier kann er/sie seine Einfälle, seine Ideen und seine Gefühle im Bezug und  in der zeichnerischen Antwort wiedergeben. Danach folgt ein verbaler Austausch in dem der Malende seine Zeichnung zuerst erläutert und dann teilt der Partner seiner zeichnerischen Antwort mit. Der Fokus und die Selbstwahrnehmung werden somit auf den Dialog zwischen den gezeichneten Bildern gelenkt. „Schwierige“ Gefühle, die während des Prozesses entstehen und sprachlich oder bildnerisch sichtbar werden, versuche ich als Therapeutin im Sinne von sicheren „Containment“ (Bion 1970), mit meiner Person zu halten.

Die Funktion der Bilder
Die Bilder die während der Kunsttherapie entstanden sind, werden in Mappen und in dem Kunsttherapieraum solang der Patient in der Klinik stationär ist, aufbewahrt. Sie sind anderen Patienten nicht zugänglich und werden nicht öffentlich präsentiert.  Dies dient dazu, sicher zu stellen, dass die Werke ausschließlich für Therapiezwecke verwendet werden. Bei der Entlassung kann der Patient seine Arbeiten mitnehmen. Manche Patienten haben den Wunsch,  bestimmte Arbeiten mit belastendem Inhalt zurückzulassen. Daher gibt es die Möglichkeit die Zurückgelassenen Bilder hier in der Klinik in einem Depot sicher aufzubewahren.  

 

Bemerkung
*Die Erlaubnis des Fotomaterials von Patientenarbeiten anonym zu veröffentlichen wurde von den Patienten schriftlich genehmigt.